Wir waren bei Bekannten zu Besuch und was sehe ich da stehen?
Folgendes:
"Uiiiiiii, die ist aber toll!!!" - "Naja, funktioniert nicht mehr,
ich werf sie auf den Sperrmüll. Willst se haben?" - (Nein, ich hatte mich
nicht verhört) - "Laß mich kurz überlegen - JAAAAAAAAAAA!!!!!"
Unter den missbilligenden Blicken meiner holden Gattin aber den
leuchtenden Augen von mir und meinen Kindern wanderte das Trum direkt
in meinen Kofferraum und wurde nach Hause geschafft.
DAAAAAANKEEEEEEEEE!!!!!!!
Erste Analyse daheim:
1: Oldschool, nicht unbedingt häßlich, stört aber das Gesamtbild -
kommt weg (war ja einfach)
2: abgebrochene Zierleiste: mit Klebepistole wieder festgepappt,
überstehenden Kleber vorsichtig entfernt, Nahtstelle gelötet (war ja
einfach)
3: Lack nur an diesen Stellen gerissen: Mit Polyboy Möbelpolitur zigmal
über die ganze Truhe gegangen, sieht wieder aus wie neu (war ja einfach)
4: schwarzer Lack ab: losen Lack entfernen, an Frauchens teurem
Bastellack vergriffen und fein säuberlich alles nachgemalt und mit
Möbelpolitur dem Altlack angeglichen (war ja einfach)
Bis jetzt also noch kein Grund, das Ding wegzuschmeissen. Jetzt aber an
die Innereien, was haben wir denn da so vor uns?
Ein Röhrenradio (liebevoll auch Dampfradio genannt) der Marke SABA,
Baureihe Villingen III - T/1, 220 V Wechselstrom, absolut unverbastelt.
Klappe auf und den Lautsprecher mal genauer beäugt:
Ja wie cool ist das denn, das Gerät ist also von 1954. Leider hat jemand ein Loch in den Lautsprecher gepiekt. Hab nen Kumpel gefragt, der sich mit sowas auskennt und der gab mir den Tip, das Loch mit 2-Komponenten-Harz zu flicken, muss halt schön steif werden. Kein Problem, mit steif kennen wir Männer uns ja aus - 2K-Harz hatte ich im Keller liegen, drauf damit und fertig (war ja einfach):
Und weiter gehts: Ich hab mal die Rückwand im Detail
fotografiert bevor ich das Radio selbst präsentiere:
Da haben die Erbauer mitgedacht und die verwendeten Röhren gleich
mit aufgedruckt, falls man mal Ersatz braucht:
Geräte-Nr:
Radio von vorne:
Und von hinten:
Hier fallen gleich mehrere Sachen auf und raus:
1: Das gehört so nich, dat dat da so runterhängt. Gehört scheinbar zum
Schallplattenspieler, kümmer ich mich später drum.
2: Da is ein Zettel unter dem Radio, hol ich später raus.
3: Was hängt denn da? Das original
Schildchen mit der Seriennummer, festgetüddelt mit
Wurschtbändel, total geil:
Hm, also Radio sieht auf den ersten Blick auch super aus, kaum Staub
oder ähnliches. Aber ich hab im Vorfeld natürlich viel gelesen.
Mein Dank geht an die unzähligen Enthusiasten, die solch alte Radios
hegen und pflegen und uns an ihrem Wissen teilhaben lassen. Hier ein paar der Unzähligen, denen mein Dank gilt:
Und falls die nicht weiterwissen, Google weiß alles und hilft gerne
und sogar kostenlos (na ja gut, wir bezahlen mit unseren Daten, ABER
das ist eine andere Geschichte ;-)
Und deswegen nicht sofort an Strom hängen:
Ich hatte also gelernt, dass es verschiedene Kondensatoren in so einem Radio geben kann, die nach so langer Zeit ihren Geist aufgegeben haben und nicht mehr funktionieren. Gibt man da jetzt Strom drauf, machts Puff, die Dinger gehen endgültig kaputt und himmeln womöglich das ganze Radio. Wollen wir ja nicht. Also im Netz geguckt, welche Kondensatoren da betroffen sein könnten und am eigenen Radio gucken, ob die verbaut sind. Dazu das Ding ausbauen. Man muss vorher allerdings ein paar Kabel ablöten...
...wozu ich aber keinen Bock hatte. War zu ungeduldig, also abzwicken, vorher natürlich ein Bild, wie sie verlötet waren, ganz blöd bin ich ja auch nicht:
Schrauben auf, und da steht das gute Stück:
Jetzt klärt sich auch, was das für ein Zettel unter dem Radio war. DER SCHALTPLAN! Zeig mir ein Gerät, wo das heute noch der Fall ist !?! Und in groß:
Hab zu meinem Bedauern leider kein Bild von unten gemacht. Aber so
viel sei gesagt, von integrierten Schaltungen und Platinen hatten die
damals noch nix gehört.Ein Kuddelmuddel an Kabeln war das ... Naja,
egal, auf jeden Fall war kein kritischer Kondensator oder ähnliches zu
sehen, also von der Seite Entwarnung. Jetzt wollte ich es aber wissen.
Radio auf eine nicht leitenden Unterlage gestellt, Lautsprecher grob
dran gefummelt und Strom drauf. Nix tat sich, wobei mir auffiel, dass
der Stecker klapperte. Komisch? Mal aufschrauben. Und siehe guck,
Fehler in der Hauptstromversorgung:
Die olle Madenschraube hatte sich in Lauf der Jahrhunderte gelöst
und das Kabel frei gegeben. Wenn das der einzige Fehler ...
Flugs im gut sortierten Keller ein Kabel neueren Datums besorgt und
dran gelötet, eingeschaltet - Bingo - Licht geht schon mal und nach ca.
2 Minuten bangen Wartens (Röhren müssen ja erstmal glühen) kam auch ein
astreiner Ton aus einem mehr als 60 Jahre altem Gerät. Ein profaner
kaputter Stecker hätte diesem armen Radio fast das Leben gekostet. Zum
Glück hat es das Schicksal zu mir geführt. Ehrlich, mehr wars nicht,
nur der Stecker.
Und falls jemand das Ding mal neu einstellen muss, hier die
Abgleichanleitung. Keine Ahnung von was die da reden, aber ich hoffe,
ich muss das nie machen ;-):
Also, nach einer vorsichtigen Reinigung mit Pinsel wurde das Teil
wieder an seinen alten Platz gesetzt und ich wandte mich dem
Schallplattenspieler zu. Wenn schon soll alles wieder funktionieren.
Es handelt sich um ein Gerät der Marke DUAL, Typ 1002F, also die letzte
Ausbaustufe dieser Serie. Hier ein paar Daten dazu:
Es waren alle Teile dabei. Als erstes hab ich mal den Tonkopf
ausgebaut (leicht nach oben drücken, dann nach vorne abziehen), damit der keinen Schaden nimmt (den kriegt man nämlich nur
noch sehr schwer bis gar nicht mehr). Sprengring in der Mitte des
Tellers lösen und Teller raus. Dann die jeweils 2 Schräubchen rechts
und links gelöst und vorsichtig rausheben und auf zwei Brettern ablegen.
Von unten:
1: unter dem dreieckigen Ding sitzt ein Quecksilberschalter (also bloß
nicht zerbrechen), der ein möglichst sanftes an und aussschalten
erlaubt. Die Kabelummantelungen, die zu diesem Schalter führen waren
bei mir extrem brüchig. Wenn die brechen, liegen die 230 V
direkt auf dem Metallgehäuse des Plattenspielers. Und dann kannst du
bei der nächsten Elvisplatte selbigen besuchen, obwohl ...
ALSO UNBEDINGT ERSETZEN !!!!!!! Hab ich durch
Schrumpfschläuche ersetzt.
2: Mit diesen drei großen Schrauben und der jeweiligen Mutter an der
Oberseite wird die Platte gehalten, auf der der Motor sitzt. Mehr dazu
siehe weiter unten.
3: Lagerung des Tonarms. Mehr dazu, siehe weiter unten.
4: Ein- / Ausschalter: Mehr dazu, wie gewohnt, weiter unten.
2: Erstmal zum Motor. Wir erinnern uns, der hing doch recht lustlos in der Gegend rum, sprich die Gummiaufhängungen hatten sich im Laufe der Zeit und unter Einwirkung der Röhrenhitze verabschiedet. Ersatzteile dafür gibts natürlich nicht mehr. Zunächst aber erst mal die alten Teile rausprokeln. Dazu die große Platte mittels der drei grioßen Schrauben abschrauben, dann kommt man an die Schrauben für die Motorhalterung. Jetzt kann man die Reste abschrauben:
Bei der Gelegenheit hab ich dann auch bemerkt, dass der Motor nicht mehr dreht. Na super. Festgefressen - der erste Gedanke. Mist. Da gibts sicher noch weniger Ersatz für. Also wieder googeln und siehe da, es könnten auch nur ein paar Tropfen Öl fehlen. Dazu muss man das Teil aber rauslöten und zerlegen. Vorher natürlich wieder Kabel fotografieren und markieren:
Und alles raus:
Der Motor lässt sich zum Glück leicht zerlegen und ölen und wie
durch ein Wunder dreht er sich wieder wie ne Eins. In Ermagelung des
Originalöls hab ich einfach Nähmaschinenöl nicht harzend genommen.
Woher jetzt aber die Gummipuffer nehmen. Zum Glück gibt es das Internet
und den Modellbau. So fand ich beim Voelkner Dämpfungsgummies, die den meinen recht
ähnlich sahen:
Gewinde M 4, Höhe 10 mm.
ORIGINALHÖHE war 14 mm. Hab ich dann durch eine neue längere Schraube und eine zusätzliche Mutter ausgeglichen:
Jetzt den Plattenspieler an seinen angestammten Platz. Die Stromkabel hab ich natürlich nicht jedes mal zum testen verlötet, ich hab einfach einen Zwischenstecker eingelötet, so dass ich Radio und Plattenspieler nun einfach trennen kann ohne jedes Mal gleich zum Lötkolben greifen zu müssen. Und ich musste sie noch oft trennen...
Nun aber, Strom dran, Einschalter drehen uuuuuuund... - läuft, aber
mit was für einem schauderhaften rumpeln und rattern, lauter als jede
Schallplatte. Goooooooogle, ich hätt da mal ne Frach...
Lösung: Reibrad unrund, sprich sehr lange auf Kontakt angelegen und ne
Delle gekriegt. Also die Reibräder ausgebaut und angeguckt: 78er - nix,
45er - nix, aber natürlich genau das wichtigste, das 33er sah so aus:
Gibts natürlich schon lange nicht mehr als Ersatz. MIST. Hmmmmm, sieht aber aus wie ne Dichtung, mal gucken, was der Baumarkt hergibt:
Sieht doch gar nicht mal so schlecht aus. Ging aber nicht, da leider nicht mit der nötigen Präzision gefertigt. Das Loch war leider aussermittig und somit eierte dieser Ersatz schlimmer als das kaputte Original. Da hätten die Hersteller ruhig mal ein bißchen mitdenken können ;-)
Aber die Richtung stimmte. Als nächstes machte ich einen Händler für Präzisionsdichtungen ausfindig, der Dichtungen in allen Größen und Formen verkauft (Firma Hug). Hier flugs 7 (Mindestbestellmenge, reicht für 300 Jahre Schallplattengenuß) Dichtungen (4mm Dicke, 16mm Innenloch) bestellt und dran gebaut:
Und höre da, läuft mit einem leisen Surren ohne rumpeln und rappeln.
Geht doch. Nu aber, erste Platte drauf. Ich hatte mir zu diesem Zwecke
extra was passendes vom King of Rock and Roll gekauft, ne Elvis-Platte. Auflegen, Nadel drauf
und es kam tatsächlich Musik raus. Aber irgendwie wollte das Ding am
Ende der Platte nicht ausschalten, obwohl das automatisch gehen sollte.
Lag einfach daran, dass der Ein-/ Ausschalter extrem schwergängig war
(siehe oben zu 4.).
Also den Sprengring ab, Klemmring ab und raus damit. War gar nicht so einfach, so viel verharztes Öl wie da drin war. Mit Benzin und Q-Tips das olle Zeug raus, Nähmaschienenöl dran und der Schalter flutschte, dass es eine Freude war. Jetzt ließ sich auch die Geschwindigkeit (33/78/45) wieder ohne Probleme und massive Gewaltanwendung einstellen. Und der Plattenspieler hat noch ne Besonderheit, sieht man oben auf dem Bild: hinter der 33 kommt noch eine nicht markierte Raste; die Nullstellung. Hier sind alle Reibräder kontaktlos geschaltet, es können sich also keine Druckstellen bilden. Wusste der vorherige Besitzer wohl nicht, sonst könnte sich noch das originale Reibrad drehen. Ich nutze diese Stellung natürlich nach jedem Hören ;-)
Jetzt wollte ich natürlich auch mal ne Single (45er Geschwindigkeit)
hören und besorgte mit dazu wieder etwas angemessenes: Frank Sinatra.
Aber der Kerl war wohl zum Stotterer geworden, er sang die gleiche
Passage immer wieder.
Mist, Platte hängt - WAS DENN NOCH ALLES????
Halb so schlimm, Platte war nicht kaputt oder verdreckt (ein möglicher
Fehler), das Skating kann man bei diesem Gerät noch nicht einstellen
(noch ein möglicher Fehler), die Nadel war auch noch in Ordnung (auch
ein möglicher Fehler), nein, es war der Tonarm, der zu schwer lief.
Kann man einfach feststellen, indem man das Teil vorsichtig in die
Mitte führt, wenns irgendwo hakt oder schwerer geht, hat man den
Fehler, war bei mir natürlich so.
Freundlicherweise hat im Netz wieder jemand dieses Problem für genau
meinen Plattenspieler beschrieben. Also die zwei Schrauben oben am
Tonarm auf dem goldenen Teil gelöst, von unten den Sprengring raus,
kurz ziehen und
- AAAAAAAAARGHHHHHHH-
springen 2 x 14 kleine Kügelchen des Kugellagers
durch den Raum.
Fehlt auch nur eine ... Mit nem starken Magneten hab ich dann alle wieder gefunden und gereinigt, war auch alles total verharzt.
Und hier kommen die Dinger dann wieder hin. Erst von oben,
Tonarmhalterung rein, festhalten, dann von unten:
Teile der Tonaramhalterung:
1: Aufsetzstift der Wechslerautomatik, verläuft innerhalb des
Kugellagers. Wenn man das schwarze Ding abschraubt, einfach die Anzahl
der Umdrehungen merken (bei mir warens 9), dann kann man es später
wieder genauso drauf bauen.
2: 2 Schrauben der Tonarmhalterung, Unterer Verschluß und Sprengring
des Kugellagers
3: Sprengring, Feder und Unterlegscheibe des Metallarms, der mit 4
verbunden wird.
4: Absetzer des Tonarms der Wechselautomatik, das längliche Stück kann
einfach rausgeschraubt werden
Zum Schluß wieder ein - zwei Tröpfchen des Nähmaschinenöls und der
Tonarm läuft wie ne eins. Aber Ol Blue Eyes stottert immer noch. Des
Rätsels Lösung ist ein zu schwer eingestellter Tonarm (also noch ein
möglicher Fehler). Wird wie folgt eingestellt:
Sprich, den Tonarm mittels folgender Schraube (1), aber ohne Tonkopf in die Schwebe bringen. Bei (2) sind die Schrauben für die Tonarmhalterung:
Sollte dann so aussehen:
Dann den Tonkopf aufstecken (= 9g) und man hat das Aufliegegewicht
von 7-10g gem. Beschreibung ganz oben. Und nun singt der alte Frankyboy
sein Lied auch ohne einen Fehler durch. Wurde aber auch Zeit.
Und zu guter Letzt sollte auch mal der Plattenwechsler zeigen
können, was er kann. Wer will, kann die nun folgende
Bedienungsanleitung überscrollen, hab sie nur der Vollständigkeit
halber und weil sie dabei war hier angefügt:
So schön wie in der Anleitung machte ers natürlich nicht. Es ist doch zum Heulen. Aber, so dachte ich mir dann, vielleicht hab ich bei der ganzen Fummelei irgendwas ausgelöst oder gesperrt, was ihn nun am funktionieren hindert. Also den Plattenspieler raus, irgendwie vorsichtig das große Zahnrad zum einrasten gekriegt, vorsichtig den Plattenteller von Hand gedreht und nach einem Umlauf des großen Zahnrads war alles quasi auf "Null" gestellt und der Wechsler tat seinen Dienst. Was ein geiles Schauspiel, besser als Plattenhören.
1: Sicherung, die mittels der Aufsteckachse gelöst wird (hier war ein Tröpfchen Öl von oben auch nicht schlecht)
2: Hier wird das große Zahnrad des Wechslers auf den Antrieb aufgeschaltet und dann startet das Schauspiel
Jetzt funktioniert wieder alles wie es soll und so sieht das Endergebnis aus:
Jetzt gefällt das Teil sogar meiner Frau ;-)
Und gekostet hat die Instandsetzung die Unsumme von ca. 55 Euro:
- 10 Eus für den Reibring-Ersatz
- 10 Eus für die Gummipuffer
- 15 Eus für die Test-Schallplatten
- 10 Eus für eine neue Carbonfaserbürste (von Hama, zum Plattenputzen)
- 10 Eus für ne Ersatznadel (sicherheitshalber, habe sie noch nicht gebraucht)
Und das was ich in der kurzen Zeit über Röhrenradios, Schallplatten und Hörgenuß gelernt habe: UNBEZAHLBAR !!!
Nochmals vielen, vielen Dank M.D. für dieses tolle Stück Technikgeschichte und den Spaß, den ich damit habe.